Datum und Uhrzeit
So 04.12.2022
18:00 Uhr
Veranstaltungsort
Mauerwerk
Hindenburgstraße 22
71083 Herrenberg
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Auf Einladung der KZ Gedenkstätte Hailfingen/Tailfingen kommt Daniel Kahn nach Herrenberg. Die Musik von Daniel Kahn & The Painted Bird, von Kahn als „Verfremdungsklezmer“ bezeichnet, ist eine Mischung aus Klezmer, Punk, Folk und Singer-Songwriter – ohne jeden falschen Folklorismus. Die Texte sind teils von Kahn, viele sind jedoch Adaptationen von Gedichten und Liedern jüdischer Autoren (z.B. Mordechaj Gebirtig), oft bissig sozialkritisch. Brecht und Weill fügen sich logisch ein in diesen Kosmos zorniger Kampflieder. Und wirklich sprachlos macht einen Lili Marleen auf Jiddisch, begleitet von Spieluhr und singender Säge.Auf der Bühne hat Kahn eine Bühnenpräsenz wie ein alttestamentarischer Prophet. Da hilft, dass er Regie und Schauspiel studiert hat.
Troubadour, Songwriter, Dichter und Multi-Instrumentalist Daniel Kahn, geboren in Detroit, studierte Theater und Lyrik an der University of Michigan, lebte in New Orleans und New York. 2005 zog er nach Berlin und gründete seine Kult-Klezmer Band The Painted Bird, mit der er fünf Alben produzierte, die zahlreiche Auszeichnungen wie den Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik erhielten.
Weitere Musikprojekte sind The Unternationale, Semer Ensemble, The Brothers Nazaroff, Bulat Blues und The Disorientalists. Am Gorki Theater arbeitete er u.A. als Regisseur, Komponist, Lyriker, Musik-Kurator, Autor und Schauspieler. In New York spielte er Pertshik in der Hit-Produktion von Anatevka auf Jiddisch, Biff in der hochgelobten Aufführung von Death of a Salesman auf Jiddisch und war Teil des All-Star Programms From the Shtetl to the Stage in der Carnegie Hall.
2016 ernannte ihn die Ashkenaz Foundation als ersten „Theo Bikel Artist-in-Residence“. In 2018 erhielt er den Chane und Joseph Mlotek Award for Yiddish Continuity. Er ist Mitbegründer des jiddischen Kulturfestivals Shtetl Berlin. Daniel Kahn wohnt mit seiner Frau und künstlerischen Partnerin Yeva Lapsker sowie ihrem gemeinsamen Sohn mittlerweile in Hamburg. Sie arbeiten auf einem Schiff im Harburger Binnenhafen.
Im Gepäck hat Daniel Kahn sein neues Album word beggar, das am 03.12.21 veröffentlicht wird. Auch wenn Daniel Kahn schon viele Alben veröffentlicht hat – ob unter seinem eigenen Namen oder mit der Band The Painted Bird – word beggar ist das erste Album, das er komplett alleine eingespielt hat.
Musikalisch bewegt es sich zwischen Folk, Jazz und Klezmer. Es besteht aus Adaptionen und Vertonungen von Liedern und Texten von Georges Brassens, Kadye Molodovsky, Mordechai Gebirtig, Kurt Tucholsky, Beyle Schaechter-Gottesman und Aaron Zeitlin, die Kahn über die Jahre entwickelt hat. Darunter sind auch seine jiddischen Versionen von Bob Dylan-Songs und Leonard Cohens „Hallelujah”. Das Video zum Stück wurde schon mehr als zwei Millionen Mal gesehen. Auf dem Album wird das Lied minimal und düster am Flügel gespielt.
Kahn hatte ursprünglich nicht vor, das Album solo aufzunehmen. Dann aber lernte er Michael Fetscher kennen, den Betreiber des mitten auf der Schwäbischen Alb gelegenen White Fir Studios.
Als Daniel das Studio sah, beschloss er, das gesamte Album in anderthalb Tagen live im Studio auf 16-Spur-Band einzuspielen, rein analog und ohne digitale Effekte. „Das war auch für mich als Performer eine Herausforderung“, so Kahn, „denn man kann nicht ohne Ende Takes machen“. Fünf Stücke entstanden an der Gitarre und weitere sechs an einem Flügel. Die einzigen, später hinzugefügten analogen Overdubs waren Einspielungen von Kahn am Akkordeon.
Die Bänder überzeugten mit ihrer Intimität und Nähe, sowie dem organischen und warmen Klang der Aufnahmen. Daher, so Kahn, „hatte ich nicht das Gefühl, dass ich viele andere Instrumente hinzufügen musste. Für mich ging es vor allem um die Lieder, die Übersetzungen, die Kompositionen, die Texte, den Inhalt“. So reifte der Entschluss, ein Soloalbum zu veröffentlichen.
Über die Auswahl der Stücke sagt er, dass „die Lieder in den letzten Jahren zu mir gekommen sind“. Damit meint er nicht nur Lieder, sondern auch Gedichte, denn im Jiddischen bezeichnet das Wort „Lid“ beides, oder wie Daniel sagt: „A lid is a lid“. Neben den vertonten Gedichten stehen die Übersetzungen ins Jiddische und Englische oder, wie er es nennt, die „tradaptations“ („translations“ und „adaptations“). Den Großteil davon hat er alleine ‚tradaptiert‘, aber einige Stücke entstanden auch in Zusammenarbeit mit anderen Künstler*innen und Weggefährt*innen wie seiner Frau und Partnerin Yeva Lapsker. Dabei empfindet Kahn diese Adaptions-Arbeit als „eigene Kunst“, als „Songwriting“, denn „das Stück muss als Song in der neuen Sprache funktionieren“.
Die im ersten Stück „Der Zinger fun Noyt“ von Mordechai Gebirtig aufgeworfenen Fragen über die Verantwortung des Künstlers „Wofür singst du?“, „Warum singst du?“ „Für wen singst du und wozu?“ bestimmen laut Kahn nicht nur das Album, sondern auch seine komplette Arbeit. Dabei beantwortet er sie nicht, sondern überlässt dies seinem Publikum. „Die Fragen sind die Lieder“, wie er sagt.
Das Album bietet thematisch gesehen sehr persönlich gehaltene „Ich“-Lieder, auch wenn die Ursprungstexte nicht von Kahn selbst stammen, sowie „Wir“-Lieder über große soziale, historische und politische Themen, die aber zu einem zurückkommen, denn „Das Persönliche ist politisch, subjektiv und emotional“, wie er betont. Viele Stücke verbindet das Motiv der Ausgrenzung, der Grenzüberschreitung und der Grenzenlosigkeit, ob wortwörtlich, oder im übertragenen Sinne auch zwischen den Sprachen.
Weitere Themen sind das Älterwerden, Erlösung und Gerechtigkeit und immer wieder die Suche nach der oder den Heimat/en, die Heimatlosigkeit und Entwurzelung. „Alle Lieder, die diese Suche thematisieren, diese Sehnsucht enthalten, sprechen mich persönlich tief an. Wenn Heimat ein Gefühl ist, dann ist es ein kompliziertes und paradoxes Gefühl. Es ist nicht immer schön, es ist nicht immer schmerzlos oder nostalgisch“, so Kahn.
Mit freundlicher Unterstützung durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung.